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"TWINNI" INTERVIEW
mit Ulrike Schweiger und Michael Tanczos

 

TWINNI ist nicht nur ein Eis, sondern ein Gefühl – und das Erwachsenwerden nicht immer nur Zuckerschlecken. Catherine Holzer sprach mit Regisseurin Ulrike Schweiger und ihrem kongenialen Co-Drehbuchautor Michael Tanczos über die Versatzstücke ihrer eigenen Vergangenheit, die Liebe zu den selbst erfundenen Figuren, und die hohe Kunst, beim Geschichtenerzählen authentisch zu bleiben.

Catherine Holzer: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, zu diesem Thema einen Film zu machen?

Michael Tanczos: Eigentlich ein Umweg fast im Sinne eines Zufalls. Wir haben darüber nachgedacht, was uns interessiert und waren sehr schnell bei gruppendynamischen Prozessen. In Folge sind wir zum Thema Schule und Kindheit gekommen. Die Hauptfiguren waren schnell da. Alles war sehr greifbar.

Catherine Holzer: Ist auch ein Teil eurer eigenen Geschichte involviert?

Ulrike Schweiger: Bei diesem Buch haben wir versucht, unsere Autobiographien nicht stark in die Geschichte einfließen zu lassen.

Michael Tanczos: Gerade weil unser Zugang zu diesem Buch über Brainstorming über die eigene Kindheit zustande gekommen ist, wollten wir keine autobiographische Geschichte erzählen. Natürlich passiert es, wenn du Fiktion schreibst, dass Persönliches in die Arbeit einfließt. Auch wenn man völlig Neues erfindet, sind Versatzstücke der eigenen Kindheit drinnen. Ich war als Kind zum Beispiel Ministrant und kannte daher das ganze Prozedere und die Reaktionen der Ministranten, als es geheißen hat: „Mädls sollen ministrieren?“ Das war unsere, also eine „Buben-Domäne“!

Ulrike Schweiger: Momente unserer eigenen Kindheit finden sich in TWINNI wieder. Unsere Erinnerung hat sich auch auf Details wie z.B. Ausstattung, Kostüme, Dialoge niedergeschlagen. Ich habe als Kind in der Stadt gelebt., war aber auch viel am Land. Damals war es wie zwei Welten. Das hat sich heute komplett verändert. Die Gegenpole haben uns an der Geschichte sehr gereizt. Stadt – Land. Traum – Wirklichkeit. Mädchen – Frau.

Catherine Holzer: Wieso eigentlich TWINNI? Wieso darf eigentlich ein simples Schleckeis wie Twinni eine so große Rolle spielen?

Ulrike Schweiger: TWINNI steht für die zwei Seiten der Medaille. Am Anfang des Filmes streitet Jana mit ihrer Schwester darum, die grüne Seite vom Twinni zu bekommen und am Schluss gibt ihr Florian ganz selbstverständlich die grüne Seite, wortlos, ohne etwas zu sagen.

Michael Tanczos: Ein Symbol für die zwei Seiten des Lebens.

Catherine Holzer: Was macht den Zauber von TWINNI aus? Die sonnige Lovestory oder der feine Humor, mit dem die Geschichte von Jana erzählt wird? 

Ulrike Schweiger: TWINNI ist ein Film über das Erwachsenwerden. TWINNI erzählt die Geschichte einer 13-jährigen, die durch die Scheidung ihrer Eltern aus ihrem Umfeld gerissen wird und am Land einen Neubeginn machen muss. Sonnige Lovestory allein wäre mir zu wenig. Es ist eben nicht alles nur sonnig ...

Michael Tanczos: Sobald mehrere Elemente aus verschiedenen Genres vermischt werden, wird es schwer, den Film zu benennen. Für mich ist TWINNI keine reine Komödie, sondern von allem etwas.  

Ulrike Schweiger: Es gibt zwei Fenster auf Dinge zu schauen. Entweder durch das Fenster der Komödie oder das der Tragödie, wobei immer die selbe Geschichte erzählt wird. Ich habe versucht, die Geschichte sehr ehrlich umzusetzen. Ich versuche, auf die Hauptfigur und ihr Schicksal einzugehen. Natürlich entstehen dabei – bedingt durch das Alter der Protagonistin – viele Momente, die humorvoll sind. Mit 13 kommt der Moment, in dem vieles „kippt“. Das ist der Moment, in dem man neue Dinge ausprobiert. Unweigerlich komisch wird es im Film, wenn die Mädchen zum ersten Mal Slow-Tanzen. Das ist situativ komisch, aber nicht weil ich bewusst etwas Komisches zeigen wollte, oder weil wir gesagt haben: Wir machen eine komische Szene.        

Catherine Holzer: Wir leben in einem 80er Revival. Warum spielt eure Geschichte in den 80er Jahren?

Ulrike Schweiger: 1980 war ein Riesenumbruch. Das Ende der 70er hat mit dem Wendejahr 1980 eine völlig andere Welt eingeläutet. Wir wollten erzählen, in welchem Umfeld man damals aufgewachsen ist. Welchen Restriktionen man unterliegen musste, wie groß damals die Autoritätsfaktoren waren.

Michael Tanczos: Hinzu kommt die Tatsache, dass damals Mädchen gar nicht ministrieren konnten. Wir haben sogar bei der Erzdiözese recherchiert: Erst 1993 oder 1994 gab es den Erlass aus dem Vatikan, dass Mädchen ministrieren dürfen. Passiert ist es schon lange davor, aber eben – wie auch bei uns – unter der Hand ...

Ulrike Schweiger: Mir ist es in all meinen Filmen wichtig, dass nicht nur schlechte Umstände aufgezeigt werden, sondern, dass auch Lösungen angeboten werden. Ich hasse Filme, die das Leid der Welt zeigen, ohne einen Ausweg.  

Catherine Holzer: Mit jeder einzelnen Figur kann man sich in TWINNI identifizieren. War das Absicht?

Michael Tanczos: Wir lassen uns mit diesen Figurenbiographien viel Zeit. Wir recherchieren viel. Geschichten stehen und fallen mit den Figuren. Die tollste Geschichte funktioniert nicht, wenn die Figuren nicht stimmen, wenn die Figuren eindimensional sind und nicht greifbar sind.

Ulrike Schweiger: Aber selbst die weniger positiv besetzten Figuren haben sympathische Momente. Wir mögen unsere Figuren ...

Michael Tanczos: Das ist eine Grundvoraussetzung ...

Catherine Holzer: Bei euch sitzt niemand auf der Anklagebank – nicht einmal der Herr Pfarrer ... Rechnet Ihr mit Protesten von der Kirche?

Michael Tanczos: Das ist grundsätzlich nicht auszuschließen. Das war für uns nie eine Überlegung oder ein Kalkül. Wir haben eine Geschichte, die wir erzählen wollen.

Ulrike Schweiger: Wenn Protest kommt, dann von jemandem, der den Film nicht versteht. Es handelt sich bei den „kritischen Dingen“ – wenn man sie so nennen will – um Visionen, Fantasien, kindliche Vorstellungen. Für Jana ist die Kirche ein Spektakel. Es macht ihr Spaß, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Sie hinterfragt kirchliche Rituale.

Catherine Holzer: War es schwierig, die Rollen der Kinder richtig zu besetzen?

Ulrike Schweiger: Wir haben monatelang gecastet. Es war leichter, die „Landkinder“ zu finden. In den Landschulen waren viel mehr authentische, charismatische Kinder. In Wien war es schwerer die geeignete Hauptfigur zu finden. Diana Latzko war ein Glücksgriff. Mir war das Sprachliche sehr wichtig. Damals, 1980, haben Jugendliche völlig anders gesprochen als jetzt. Diana spricht völlig neutral. Die unterschiedliche Sprache der Stadt- und Landkinder war mir sehr wichtig. Das sind Feinheiten, aber genau diese Feinheiten machen für mich den Film aus, auch in der Ausstattung. Mir war es zum Beispiel ganz wichtig, dass Evi genau dieses schwarz-rot-grüne Strickkostüm trägt. Christine Böhm, unsere Kostümbildnerin, hat es extra stricken lassen, weil es nicht mehr zu finden war. Da war ich sehr hartnäckig. Das musste einfach sein. Ich hatte die Locations, die Ausstattung und die Kostüme konkret vor Augen.

Catherine Holzer: Alle Kinderdarsteller sind Laien. Wie war die Zusammenarbeit zwischen den Kindern und den Profi-Schauspielern?

Ulrike Schweiger: Es war existenziell wichtig, mit den Kindern vor den Dreharbeiten zu proben. Horst Backfrieder, der den Pfarrer spielt, war ein Vater, der mit seinen Kindern zum Casting nach Amstetten gekommen ist. Er stand da und ich hab sofort gedacht „Den muss ich casten!“ Und er war sofort dabei. Horst Backfrieder ist ein Hauptschullehrer aus Sankt Valentin, der natürlich mit Kindern sehr gut umgehen kann. Geprobt wurde auch mit Ingrid Burkard, die eine Profi-Schauspielerin ist. Mit Maria Hofstätter und Diana Latzko habe ich sehr viel Zeit verbracht. So haben sich die zwei kennengelernt und sehr bald auch gemocht und bereits vor den Dreharbeiten eine wirkliche Nähe aufgebaut, was für die Mutter-Tochter Beziehung notwendig war. Es war mir wichtig, dass die Kinder den geschriebenen Text nicht bekommen. Die Kinder haben ein „Kinderdrehbuch“ bekommen und teilweise auch die erwachsenen Darsteller. Wir haben alle Dialoge rausgenommen und nur umschrieben, was passiert. Oder umschrieben, wer, was sagt oder tut. Dadurch war nie der Effekt da, dass jemand etwas wie in der Schule auswendig lernt. Indem wir in den Proben von den Kinderdrehbüchern ausgegangen sind und die Emotion in der Situation improvisiert haben, haben wir uns auf einen neuen Text geeinigt. Faszinierend war, dass Wochen später, die Kids noch ganz genau wussten auf welche Dialoge wir uns geeinigt hatten. Die Dialoge, die wir bei den Proben mit den Kids erarbeitet haben, sind erstaunlicherweise fast ident mit dem Originaldrehbuch, obwohl die Kids den Original-Text nie gesehen hatten.

Michael Tanczos: Die Proben mit den Kindern waren spannend und grandios.

Catherine Holzer: Was macht die Qualität von TWINNI aus?

Ulrike Schweiger: TWINNI ist mein erster Langspielfilm, das Gesamtbudget war minimal. Wir versuchten, die Qualität über Ebenen reinzubringen, in denen wir aktiv etwas bewirken konnten. Technische Finessen konnte ich aus Budgetgründen nicht steuern, dafür haben wir sehr sorgfältig gecastet und die Konstellationen der einzelnen Figuren ganz genau geprüft. Letztlich war die Beziehung zwischen Evi-Darstellerin Hanna Halbmayr und Hauptdarstellerin Diana Latzko so real, dass Hanna Diana am letzten Drehtag als eine ihrer „besten Freundinnen“ bezeichnet hat.

Michael Tanczos: Was ich an der Geschichte so liebe, ist, dass sie so exakt umgesetzt wurde. Der Film TWINNI gibt genau die Geschichte wieder, die ich mit Ulrike Schweiger erzählen wollte.

Catherine Holzer: Du bist also mit der Umsetzung komplett einverstanden?

Michael Tanczos: Das ist ein Hilfsausdruck! Das entspricht genau der Geschichte, die ich erzählen wollte, mit den verschiedenen Stimmungen, dem Gefühl, das es bei mir erweckt. Ich lach noch immer, obwohl ich die Dialoge schon teilweise auswendig kenne. Wir haben über zwei Jahre an den Dialogen gebastelt. Ich kann sie im Schlaf. Ich kann sie aber immer wieder neu entdecken, und sie berühren mich trotzdem immer wieder. Das finde ich schön. Das „TWINNI-Gefühl“ war sofort da, als ich den Rohschnitt zum erstenmal gesehen hatte.

Ulrike Schweiger: Unser Schreiben war ein Geschenk. Ein Vergnügen von Anfang bis Ende.

Michael Tanczos: Gemeinsames Schreiben muss ja nicht immer so vonstatten gehen. Bei uns ist es aber so: wir formulieren jeden Beistrich gemeinsam, wir sitzen gemeinsam vorm Computer, wir laufen gehirnschwanger mit den Geschichten herum.


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